„Muss das denn immer alles auf Englisch sein?“, fragte mich die ältere Dame im Zug etwas ärgerlich. Sie muss um die 75 Jahre jung gewesen sein, die weißen Locken fielen ihr bis knapp über die dicke Brille ins Gesicht und der Regenschirm war auch bei 18 Grad und leicht bewölktem Sonnenschein mit im Gepäck – für alle Fälle, versteht sich.
Ins Gespräch kamen wir etwas unkonventionell. Sie – Erika, wie ich nachher erfuhr – muss meinen etwas verdutzten Gesichtsausdruck bemerkt haben, als sie ihr iPhone 3GS auspackte und wie wild anfing, auf den Touchscreen einzuhämmern. Mit dem einen oder anderen schielenden Auge auf das ungewohnt pixelige Display war mir dann auch schnell klar, was Erika mit dem Apfel so trieb: Sie war auf Facebook. „Haben Sie das auch, junger Mann?“, fragte sie mich. Sie muss mich längst beim unverschämten Mitlesen erwischt haben. Etwas peinlich berührt bejahte ich ihre Frage und es begann ein skurriles, aber nicht uninteressantes Gespräch über Internetflats, das „neue Freunde werden“, Mark Zuckerberg und diesen fast unaussprechlichen Namen „Facebook“.
Zwar schien Erika mehr oder minder vertraut mit dem Netzwerk, mit Kommentaren, mit Likes, ja selbst mit der Chatfunktion. Dennoch bereitete ihr der Name große Probleme. Auf meine Erklärung, dass Facebook quasi „Gesichtsbuch“ heißt, reagierte sie dann erleichtert, fast schon glücklich, des Rätsels Lösung auf die Spur gekommen zu sein. Wie die Omis unter uns halt so sind, wiederholte sie „Das macht natürlich Sinn!“ und „Ach, so ist das!“ gefühlte vierundvierzig Mal. Man erhält das Gefühl, sie habe nur noch diese Information gebraucht, um den Sinn dahinter zu begreifen.
Auf meine provokante Frage, ob sie sich denn auch über Facebook verabrede, erhielt dann auch ich des Rätsels Lösung. Ich erfuhr, was Erika, die 75-jährige Rentnerin, mit einer Telekom-Internetflat und einem Netzwerk wollte, das ich naiver Weise scheinbar nur für Menschen vor der 40er-Grenze beanspruchte. Sie bliebe mit ihrer Familie in Kontakt, ihr Sohn sei in Amerika, die Tochter in Asien unterwegs. „Es ist schön, zu lesen, was die Enkelkinder so treiben!“, erzählt sie gerührt und hält mir ein gepostetes Foto vor die Nase. Es ist ihr jüngster Enkel bei einem Kindergeburtstag. Und plötzlich wusste auch ich, dass Facebook mehr ist, als nur müde Fotos von Mittagessen. Facebook ist auch Familie, Facebook ist der Kontakt mit den Enkelkindern, Facebook ist auch für Erikas.
Gerührt verlasse ich den Zug, Erika aber, ließ mich den restlichen Tag nicht mehr los. Und wenig später popte „Möchtest Du mit Erika befreundet sein“ auf meinem iPhone-Display auf…
In seiner wöchentlichen „AllFacebook.de“-Kolumne „Draufgeklickt!“ geht der freie Journalist Tobias Gillen jeden Freitag auf News, Probleme, Konkurrenten und Innovatives aus der Welt des Mark Zuckerberg ein. Im Netz ist er außerdem auf seiner Website, Twitter und Facebook zu finden