– Gastbeitrag von Eric Horster –
Der Einfluss von Curationdiensten auf die Internetnutzung wird zunehmend diskutiert. Curation bezeichnet in diesem Kontext die Aggregation und Auswahl von Informationen und fungiert somit als Filter von Inhalten. Die unterschiedlichen Dienste reichen dabei von automatisierten „Social Magazines“, bei denen die Linksammlungen einer Person in einem Zeitschriftenformat zusammengetragen werden, bis hin zu manuellen Diensten wie Storify, wo Informationen von bspw. Veranstaltungen aus verschiedenen Plattformen (Twitter, Youtube, Flickr) zusammentragen werden können, um so die Geschichte des Events nachzuzeichnen.
Aber warum werden Curationdienste eigentlich gerade jetzt thematisiert und genutzt? Meine Antwort hierauf bezeichne ich als „Renaissance des Informationsverhaltens“. Es geht hierbei im Kern um die Überlegung (ohne dafür empirische Belege bereitstellen zu wollen), wie sich die Suche durch Social Media verändert. Und angelehnt daran die Frage, ob Informationssuche über Google auch in Zukunft dominieren wird.
Suchmaschinen (resp. Google) haben über Jahre das Internet dominiert. Die Massen an Daten zu strukturieren und auffindbar zu machen war und ist das Ziel. Bevor Suchmaschinen Inhalte für den Nutzer strukturierten, ließ man sich durch das Internet treiben. Das folgen von Linkempfehlungen auf Internetseiten dominierte. Denn eine effiziente Form der Strukturierung gab es nicht. Der Begriff des „Surfens“ umschreibt diese Form des „sich treiben lassen“ sehr gut. Die Aufnahme von Informationen via Social Networks kommt diesem ursprünglichen Verhalten wieder sehr nahe. Mit dem Unterschied, dass die Informationen früher zwar von einer Internetseite bereitgestellt wurden, aber nicht direkt in einen sozialen Kontext eingebettet werden konnten. Dies ist im Social Web anders. Hier besteht dem Mensch als soziales Wesen die Möglichkeit, sich im Austausch mit anderen zu definieren. Menschen finden Informationsempfehlungen, denen vertraut werden kann. Ursprung des Vertrauens ist dabei die Beziehung zum Interaktionspartner sowie das Wissen über gleichgelagerte Interessen. Es werden also Informationen gefunden, die vormals gesucht worden wären.
Doch die Neuigkeiten innerhalb von sozialen Netzwerken (resp. Facebook) sind häufig durchzogen mit uninteressanten Inhalten. Hier setzt die Notwendigkeit von Curationdiensten an. Einen automatischen Filter hat Facebook mit seinem EdgeRank integriert. Dieser filtert die so genannten „Hauptmeldungen“ nach der Relevanz innerhalb des eigenen Freundschaftsnetzwerkes und sortiert die Einträge mittels eines Algorithmus nach persönlicher Relevanz. Streng genommen ist der EdgeRank also auch eine Art Curationdienst. Auch konventionelle Suchmaschinen bieten zunehmend eine soziale Einbettung an. Doch sind die Mechanismen bei der Informationsaufnahme über soziale Netzwerke andere: Es ist keine gezielte Suche, sondern ein indirekter sozialer Austausch. Curation ermöglicht es also, relevante Inhalte des eigenen sozialen Netzwerkes zu identifizieren. Und damit zu verfolgen, mit welchen Themen sich wichtige Menschen innerhalb des Freundschaftsnetzwerkes auseinandersetzen. Der Qualitätsfaktor ergibt sich hierbei aus dem sozialen Kontext und dem Wissen, welche die Personen individuell hochwertigen Content bereitstellen bzw. ähnliche Interessen verfolgen wie man selbst. Die klassische Suche könnte somit hinter das Finden von Inhalten in sozialen Netzwerken zurücktreten. Denn durch soziale Netzwerke und Curationdienste hat sich das Informationsverhalten insgesamt weiterentwickelt.
Um diese Hypothesen weiter zu untermauern, möchte ich die Frage stellen, wie ein Informationsbedürfnis (also der Schritt vor der Suche) entsteht. Meiner Meinung ist der Ursprung hierfür immer im sozialen Austausch zu finden. Und dieser findet digital über soziale Netzwerke statt. Die gezielte Suche wird also zunehmend der zweite Schritt sein. Um Zusetzinformationen zu recherchieren. Der Ursprung, weshalb also Facebook für Google eine direkte Konkurrenz darstellt ist nicht, dass Google eine schlechte Suche anbietet, sondern dass wir als Nutzer unser Verhalten angepasst haben.
Seid ihr anderer Meinung? Dann sind wir auf eure Argumente gespannt!
Über den Autor:
Eric Horster ist Promotionsstipendiat des Innovations-Inkubators an der Leuphana Universität Lüneburg. Er forscht zum Thema „Online-Reputationsmanagement im Tourismus“ bei Prof. Dr. Kreilkamp. In der Lehre ist er an der Leuphana Universität Lüneburg und an der Hochschule Bremen tätig. Derzeit gründet er eine Unternehmensberatung, um in der Praxis Social Media Strategien im Tourismus umsetzen zu können.
Sehr geehrter Herr Horst,
sehr spannender und informativer Beitrag. Ich sehe bei solchen Dinge aber auch immer ein Phänomen aus den klassischen Medien, das Gatekeeping.
Ob eine Information passt oder nicht oder eine Nachricht interessant ist oder nicht hängt von so vielen subjektiven Faktoren ab, dass die Einschränkung seitens eines Algorithmus durchaus kontraproduktiv ist. In diesem Zusammenhang muss die Granularität einer Nachricht bzw. Info bedacht werden. Es kann also dazu kommen, dass ich Nachrichten aufgrund einer wohl möglichen kurzfristigen Interessenverschiebung nicht erhalte.
Grundsätzlich möchte ich aber meine Sympathie zu solchen Diensten bekunden, denn sie „erleichtern“ die Suche.
VG
Sebastian Thielke
Hallo Eric,
Netter Artikel – ich hatte darüber auch vor kurzem geschrieben, danke für das Verlinken (http://www.tourismuszukunft.de/2011/05/curation-und-social-magazines-im-tourismus-der-social-graph-als-filter/). Mir fehlt in deinem Artikel das Eingehen auf die Polarität von Informationswerten (anonym versus sozial attribuiert).
Viele Grüße,
Daniel
@Sebastian Thielke: Vielen Dank für die Anmerkung. Der EdgeRank ist in diesem Zusammenhang nur ein Beispiel (der tatsächlich automatisch funktioniert). Bei Social Magazines oder Storify ist es hingegen so, dass die Selektion von den Nutzern selbst erfolgt. Daher handelt es sich nicht um einen rein automatischen Vorgang.
Den Gatekeeping-Faktor sehe ich deshalb nicht, weil der Nutzer selbst entscheidet , welche Dienste er rezipiert. Und diese werden aus dem eigenen sozialen Netzwerk entnommen. Und von daher nicht wie bei klassischen Medien vorgegeben.
@Daniel: Deine Anmerkung kann ich nicht nachvollziehen. Es geht in meinem Beitrag ja gerade darum, dass Curation einen „indirekten sozialen Austausch“ darstellt. Mit „sozialen Attributen“ bzw. wie ich es geschrieben habe „sozialen Kontexten“ entsteht die Relevanz einer Information. Dieser Aspekt ist für mich (und im Beitrag) zentral…
Hi Eric,
toller Artikel! Ich finde das sich das Suchverhalten gar nicht so verändert hat, denke aber das die benannten Dienste eine für Menschen wichtige Eigentschaft mitbringen: Sie reduzieren die Komplexität.
Das ist so ein bischen wie im Warenkaufhaus: das Überangebot wirkt oft erschlagend und die großen Kaufhäuser wandeln sich immer mehr zum Erlebniscentern mit kleinen Geschäften. Hier ist der Kontext überschaubar und wenn alles gut läuft auch ein Vertrauen in die Marke da. Das ist natürlich eher eine Beobachtung als eine Beweisführung. Ich kann mir aber gut vorstellen, das dieses Analogie einen Hinweis geben kann wie das Suchverhalten entwickeln wird. Menschen besuchen „Orte“ die durch bestimmte Faktoren einen Sucheerfolg versprechen. Faktoren könnten dabei z.B. sein: Menge, Qualität, Vertrauen, Attraktivität, etc. Je nach den USP der Plattformen würde in dieser Hinsicht längerfristig die Diversifizierung der Informationssuche sehen.
Beste Grüße, Marcel
Hi Marcel,
kurze Frage: Hättest Du diesen Artikel tatsächlich gefunden, wenn sich Dein Suchverhalten nicht geändert hätte? ;)
Das Beispiel mit dem Kaufhaus ist gut. Vor allem, weil ich denke, dass die Nutzer tatsächlich „Orte“ besuchen, um ihre Informationen zu beziehen, weil sie dort relevantere Suchergebnisse erzielen. Die Relevanz ergibt sich hier jedoch aus dem sozialen Kontext. Also: Was für mein Netzwerk bzw. für bestimmte Personen innerhalb meines Netzwerks interessant ist, das ist auch für mich interessant.
Gruß Eric
hi Eric,
..hehe.. in der Tat gebe ich dir uneingeschränkt recht: der soziale Kontext ist die führende Form, wenn es um Relevanz und Komplexitätsreduktion geht. Ich würde aber die These wagen, dass dies für Menschen im Alltag schon immer so war. Es gibt nun eben neue Dienste die näher an dem Suchverhalten in der „offline Welt“ sind.
Daher wäre ich der Meinung das Deine These im engeren Sinne heißt: „Unser Suchverhalten *im Internet* hat sich verändert.“
Das mal ganz abstrakt, wenn wir uns als Menschen in einer Gesellschaft betrachten.
Den Artikel habe ich auch nicht gesucht, sondern bin auf XING darauf aufmerksam geworden. Oder ist das auch „suchen“? Etwas unschlüssig wäre ich mir da mit den Begriffen: wann ich „suche“ und wann ich „informiert“ werde..
Beste Grüße, Marcel