Brand Awareness – ein stummer Schrei nach Liebe oder: Warum Online-Marketer den Begriff der Treue 2017 neu erfinden sollten.

– Gastbeitrag von Thomas Meyer –

Das Schreiben dieser Zeilen habe ich nun monatelang hinausgezögert. Noch bevor ich fertig bin, widert er mich bereits an, denn noch kein Beitrag hat soviel Selbstreflexion und Kritik an mir selbst gefordert.
Ich möchte heute über moderne Brand Awareness schreiben – genauer: über den Untergang der klassischen Markentreue. Es tut weh. Sehr sogar.

Treue. Ein Zustand der kompromisslosen Verbundenheit. Undurchdringbare Bande geknüpft an unerschütterliche Loyalität. An all das denke ich bei diesem oft leider zu leichtfertig verwendeten Wort.

Lange vor meiner Social Media – Zeit war ich bereits mit diesem Begriff vertraut. Meine Kernkompetenzen – Kundengewinnung, Kundenbindung und Kommunikation – waren immer an ein Konzept geknüpft: Langfristigkeit, enger Kontakt, Authentizität und Loyalität. Dies waren immer meine obersten Prinzipien – mein Lebens- und Arbeitskonzept. Das werden sie auch immer sein. Doch ich spüre Veränderungen.

Meine Überlegungen begannen wie so oft, im privaten Umfeld: Tinder – gelebter Social Media- Irrsinn. Als digitalaffiner Single mit vollem Terminkalender ging ich nicht nur den Retargetingkampagnen diverser Singleplattformen in die Falle, sondern blickte auch der Hydra selbst in die Augen. Ich tinderte durch halb Europa und verschwand in einem Strudel des Konsums. Fand ich eine Frau gut, war dies kein Grund für mich die App zu löschen. Ich tinderte fröhlich weiter. In der Straßenbahn, beim Kochen oder in den Pausen meiner Vorträge. Immer wenn „Bedarf“ da war, öffnete ich die App.

Die Kombination aus Überangebot und der unerträglichen Leichtigkeit des Zugangs machten es noch einfacher „zu vergessen“. Gedankenlosigkeit trat ein. Ich konsumierte und wechselte bei nächster Gelegenheit. Aber auch ich war austauschbar (Pfff…;-))

All das, was ich aus meinen früheren Jahren kannte, ward nicht mehr: 1. Date. 2. Date. 3. Date. Wochen vergehen. Man trifft sich weiter – exklusiv. Man beschäftigt sich mit der Person, um herauszufinden ob Langfristigkeit überhaupt möglich ist. Man lernt sich kennen. Und wenn es passt, bleibt man. Nein! Das alles passierte nicht mehr. Die extrem verkürzte Customer Journey finalisierte in einer Conversion – ohne Chance auf Kundenbindung oder Remarketing :-)

Das bin nicht ich. Das war ich nie. Doch passierte es trotzdem.

Aber was genau? Was genau geschah, dass ich elementare Charaktereigenschaften über Bord warf? War es eine Lebensphase von mir? Brauchte ich das? Die Antwort fand ich erst viel später für mich: nein! Es war etwas Anderes…

Ich begann nach dieser Erkenntnis mich und mein Umfeld genauer zu beobachten – denn von sich auf andere, bzw. noch schlimmer, auf einen Trend zu schließen, kann nur schief gehen. Und meine Vermutungen wurden bestätigt und ich war mit meinem „Problem“ nicht alleine.

Intelligente Marketer schaffen es mit den mittlerweile vorhandenen und bald noch kommenden Werbemöglichkeiten nicht nur, Bedarf zu generieren, sondern viel wichtiger, ihn auch zeitlich und örtlich einzugrenzen.
Je spitzer ich Zielgruppen definiere und je genauer ich auf deren aktuelle Bedürfnisse und Wünsche eingehe, desto stärker untergrabe ich die Treue zu etwaigen Mitbewerbern.

Und warum wird das 2017 besonders krass werden? Weil ich über viel genauere Instrumentarien zur Zielgruppendefinition und in weiterer Folge zur Messung verfügen werde.

#bigdatamyass sag ich nur!

Nehmen wir ein Beispiel: 2017 wird das Jahr, in dem digital offline wird. Händler, KMU’s, lokale Geschäfte und Dienstleister werden verstehen, dass ich meine Ad-Spendings und den daraus erzielten Umsatz plötzlich messen kann. Wie geil ist das denn? Ich kann messen, ob die mit meiner Ad erreichte Person zu mir ins Geschäft kommt und konvertiert.

Klingt verrückt? Ja, tut es, aber schauen wir uns als Beispiel die Offline Conversion API von Facebook an – das Instrument mit dem offline conversions messbar werden.

Du gehst durch die Stadt. Es ist Mittag. Hunger! Dein Lieblings-Italiener ist nicht weit weg. Du setzt dich in die Straßenbahn. Handy raus. Instagram. Facebook. Und da, ne Ad. Mittagsangebot. Pizza und Coke um 6 Euro. Mega Bild. Mega Angebot. Der Call to Action schreit dir ins Gesicht. Du betrittst den Laden, dein Handy erkennt das WLAN des Italieners und an der Kassa gibst du eventuell noch deine Mail-Adresse für ein geiles Gewinnspiel her. Boom! Schon weiß ich, dass DU aufgrund meiner Ad zum zahlenden Kunden kovertiert bist. Und ab diesem Moment beschieße ich dich mit Retargeting-Kampagnen aus allen Rohren…

Der richtige Reiz zum richtigen Moment und du wirst zur untreuen Seele. Dein Lieblingsitaliener? Pff. Wer? Egal, da ich, der dir völlig unbekannte Brand, dich basierend auf meinen Personas, genau dort erwischte, wo es am meisten weh tut : Hunger, italienisch und in der Nähe. Boom!

Doch was bedeutet das nun? Verkürzte Customer Journeys, gepaart mit der starken Bereitschaft zum Wechsel erhöhen den Druck auf Brand Awareness- und Kundenbindungsprogramme.

Das Konzept mit 10 mal einkaufen und dann bekommst du nen 10 Euro Gutschein oder einen Gratis Haarschnitt könnt ihr gleich mal wieder in die Schublade schieben. Klassische Brand Awareness-Kampagnen (offline und online) bzw. auf Inhalt optimierte Posting-Strategien werden sich verändern müssen. Story Telling? Ja, gern. Aber nicht als Kernstrategie! Noch vor einem Jahr hab ich über die enorme Relevanz von Story Telling bzw. Story Doing gesprochen. Doch der digitale Markt bewegt sich schneller und schneller. Performancegetriebene Marketer werden schnell für reale Umsätze sorgen und Kundenströme beeinflussen. Kundenbindung wird sich an genau dieses auf Performance getrimmte Marketing anpassen müssen.

Es muss sofort passieren. Schon beim ersten Betreten meines Ladens gilt es den Kunden zum potentiell Wiederkehrer zu machen. Email-Adressen. Telefonnummern. Custom Audiences. Re- Marketing. Re-Targeting. 110%. In your face lautet die Devise.
Verkaufspersonal muss umgeschult und Strategien müssen angepasst werden. Egal ob E- Commerce, Friseur, Kino oder Lebensmittelkette. Es betrifft uns alle.

Organische Kundenbindung darf 2017 keine Prio haben. Nicht, weil ich es nicht großartig finden würde, sondern weil es in dieser Umbruchszeit zu leicht ist, zu betrügen.

Geschätzte Unternehmerinnen und Unternehmer: Ich werde mit dem Gedanken spielen, euch untreu zu werden. Lasst es gar nicht so weit kommen ;-)

Thomas Meyer
Thomas Meyerhttp://www.swat.io/
Thomas Meyer ist Head of Sales bei Swat.io, einer Social Media Management Lösung die Unternehmen bei Content Planung & Kundenservice auf Facebook & Co. unterstützt. Zu deren Kunden zählen RTL Mediengruppe Deutschland, ZDF, ARD.de, Focus Online, Burda Intermedia, 3Österreich, Hitradio Ö3, ÖBB u.v.m. Zusätzlich unterrichtet er Social Media Marketing an der FH Kufstein und der Werbeakademie Wien.

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2 Kommentare

  1. Danke Thomas für die spannenden Thesen. Ich denke, dass alles nicht so easy ist und stark von der Branche und dem Kundenmilieu ab. Bei Aufpreisbereitschaft, die vom Branding beeinflusst wird, geht es nicht bloß um utilitaristische Bedürfnisbefriedigung. Dort macht Loyality Sinn, beim austauschbaren Quickie-Bedürfnis-Befriediger zahlt sich das. Ich aus.

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