Social Media als Job – Fremdbild und Selbstbild – oder: Warum kein Schwein weiß, was ich eigentlich tu…

– Gastbeitrag von Thomas Meyer –

Es war der 80. Geburtstag meiner Oma. Die ganze Familie traf sich – aus ganz Europa strömten die verloren Geglaubten zusammen und feierten. Manche mochte ich. Viele nicht. Viele Gesichter hatte ich noch nie gesehen – doch alle mich. „Ach Thomas. Schau dich an. Du bist ja ein richtiger Mann geworden. Ich glaub das letzte Mal, als wir uns gesehen haben, hast du noch in die Windeln gemacht“. Na klar ist das mega peinlich. Na klar ist das unangenehm. Aber was sollst du schon groß sagen. Also einfach das „Heut is Omas Geburtstag“-Lächeln aufsetzen, weiter den viel zu teuren Sekt trinken und unbekannte Hände schütteln. Doch dann kam immer diese eine ganz spezielle Frage: „Was machst du eigentlich beruflich?“ 

Antwort 1 – die Wahrheit

Ich: Ich bin Verkaufsleiter bei einer Social Software Agentur und verkaufe ein Tool, mit dem es dir gelingt, im Team all deine Social Media-Kanäle aus einer Oberfläche zentral zu steuern.
Verwandtschaft: Ah ok. Ach, und damit kann man Geld verdienen?
Ich: Ja! Ich unterrichte Social Media Management auch an einer renommierten Fachhochschule.
Verwandtschaft (völlig schockiert…): Was? Was man heutzutage alles studieren kann…

Antwort 2: – Die absolute Reduktion 

Ich: Ich arbeite im Bereich Social Media.
Verwandtschaft: Ach, also bei Facebook?

Antwort 3: – Die Lüge

Ich: Ich bin Anwalt.
Verwandtschaft: Ah toll. Wir wussten schon immer, dass aus dir mal was wird…

Nachdem ich es unzählige Male mit der Wahrheit probiert hatte, ich es aber dann irgendwann leid war, abzustreiten, bei Facebook zu arbeiten, und das Resultat immer dasselbe war – nämlich betretenes Schweigen und mitleidige Blicke meiner Verwandten, die wohl glaubten, ich habe einfach nur Angst, zuzugeben, arbeitslos zu sein, gab ich nur mehr vor, Anwalt in Wien zu sein. 

Am Ende des Familienfestes hatte ich somit den Ruf eines erfolgreichen Rechtsberaters und mehrere entfernte Verwandte haben nun meine Telefonnummer und meine Zustimmung mich bei Rechtsfragen kontaktieren zu dürfen…

Tja. Sexy ist das nicht, wenn kein Mensch weiß, was du arbeitest – bzw. vorgibst zu arbeiten. Auch der Mystery-Bonus zieht hier leider nicht. Es ist einfach nur Kacke. Egal ob Community-Manager/in, Social Media Redakteur/in, Content-Profis, Social Media-Strategen oder Social Media Ninja – kein Mensch weiß, was du den schönen lieben Tag so machst – außer auf Facebook zu sein und zu 80 % Hipster.

Aber warum ist das so? Klar, die Branche ist jung…ich mein, so jung auch wieder nicht. Aber ok. Dies würde ich als Pseudo-Argument durchgehen lassen. Das Problem ist: bis jetzt gilt es eher als Liebhaberei – und nicht als ernstzunehmender Job. Als Spinnerei. Als Randerscheinung und Job ohne feste Grenzen. Und hier sind wir wohl am Punkt angelangt. Ein Job ohne Grenzen und ohne Wertschätzung. Tja, und die Suppe haben wir uns wohl zu nem großen Teil selbst eingebrockt.

Wir sind ja alles – wir checken großartige Inhalte, machen geiles Community Management, analysieren die Zahlen, geben Ziele vor, definieren Nicht-Ziele, versuchen andere Abteilungen einzubinden, machen Wettbewerbsanalysen, identifizieren Trends – und das Ganze auf 134 Plattformen und für keine 40K im Jahr. Nein. Nein. Nein. Das kann einfach nicht gut gehen.

Wir definieren alles Mögliche – nur uns nicht! Und versuchen, mit super fancy kreativen Kampagnen uns ein Plus im Mitteilungsheft zu verdienen – nur damit Mama Daheim weiß, dass wir brav in der Arbeit waren. Und wenn wir es nicht kriegen, arbeiten noch härter und noch länger…

2016 muss das Jahr werden, in dem Verantwortlichkeiten abgesteckt werden und die Relevanz des Berufsstandes „Social Media Manager“ im Unternehmen kommuniziert wird. Niemand kann ohne abteilungsübergreifende Wertschätzung langfristig erfolgreich arbeiten. Da liegt die Verantwortung leider bei euch. Grenzt ein. Definiert euch. Wo fängt der Job an und wo hört er auf. Community Management Sonntags um 23:00 Uhr – unbezahlt? Fleiß schön und gut, aber es bekommt ja auch kein Schwein mit, wenn ihr es im Unternehmen nicht kommuniziert… Und liebe CEO’s … verdammt noch mal: bindet Social Media endlich ins ganze Unternehmen ein (und gebt eurem Social Media Team endlich mal eine Kreditkarte, um Ads schalten zu können…).

Tja, und jetzt kommen grad die ersten Bachelors und Master von den Unis. Die Menschen, denen man versucht hat, Social Media in einem universitären Rahmen zu lehren. Klar is das Ganze noch holprig. Unklar definierte Curricula, undefinierte Berufsbilder und ein geringes Grundgehalt. ABER: die Qualität wird steigen. Und somit auch die Relevanz. Der Kunde gewöhnt sich an die steigende Qualität und das Angebot bestimmt die Nachfrage…

Also, haltet euch ran. Wir sind bald nicht mehr allein…Denn einen Vorteil hatte unsere Rolle bis jetzt – wir konnten tun was wir wollen – weil es eh keiner wusste ;-) 

Image Credits: Aysezgicmeli @ Shutterstock.com

Thomas Meyer
Thomas Meyerhttp://www.swat.io/
Thomas Meyer ist Head of Sales bei Swat.io, einer Social Media Management Lösung die Unternehmen bei Content Planung & Kundenservice auf Facebook & Co. unterstützt. Zu deren Kunden zählen RTL Mediengruppe Deutschland, ZDF, ARD.de, Focus Online, Burda Intermedia, 3Österreich, Hitradio Ö3, ÖBB u.v.m. Zusätzlich unterrichtet er Social Media Marketing an der FH Kufstein und der Werbeakademie Wien.

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14 Kommentare

  1. Das Phänonen kenne ich. Auch Personalmarketing und Employer Branding ist mega verwandschaftstauglich. OK, ich könnte allerdings in der Tat gerechtfertigt die Anwaltskarte ziehen, aber hey, da mache ich einfach „Arbeitgeber-Werbung“, schüttele mich ob der brutalen inhaltlichen Verkürzung schnell und ab dafür.
    Weiterhin viel Spaß und Erfolg!

  2. Thomas! Vielen Dank für diesen Artikel und danke fürs „Ins Worte fassen“ meiner aktuellen Frustration! ;)
    Sehr und extrem gut gelungen!

  3. Oh man, das spricht mir aus der Seele. Vor allem: Wenn man es richtig gut macht, ist es klar und selbstverständlich, ist ja „so ein Kram online, das kann ja eigentlich jeder und warum sollen wir sie dafür eigentlich sinnvoll bezahlen, da bekommen wir doch so nen Studenten günstiger…“
    Die Arbeit wird immer nur dann auf den Prüfstand gestellt, wenn die Zahlen mal nicht super-duper-megadoll sind, sondern – normal. Als SoM habe ich manchmal das Gefühl, jede Kampagne, jeder einzelne Post muss noch viel geiler als der davor sein. Als würde man die ganze Zeit im Ausnahmezustand leben. Das frustet ganz schön mit der Zeit.
    Und: BINDET uns ein. Bitte. Bittebittebitte. Es ist unglaublich frustrierend, wenn man sich mal wieder tollen Content selber aus den Fingern saugen muss, es dann auch schafft – und feststellt, dass die Unternehmenskommunikation gerade ein geiles Thema hätte, was noch viel besser passt, aber DAS wird natürlich nur über den Presseverteiler gespielt. Selbstverständlich. Auf dem man nicht steht. Weil, man „postet doch nur lustige Katzenvideos“….

  4. Ich glaube dass Social Media Heinis eine kürzerer Lebenserwartung haben, weil sie jeden Tag extremem Bildschirmstress ausgesetzt sind und in kurzer Zeit psychisch krank werden, weil die Realität flöten geht. Deshalb Augen auf bei der Berufswahl!!!

    • Social Media Heinis? Das ist eig. ziemlich abwertend, findest du nicht?
      Danke auf alle Fälle dass du dir Sorgen machst, aber ich denke wir versuchen uns in unserer freien Zeit wieder zu erden…
      Also, lieber mal auf die Wortwahl achten und vorher kurz nachdenken ;-)
      Lg
      DER Social-Media-Heini ;-)

  5. Ich entdecke Gemeinsamkeiten
    Im Jahre 2010 begann ich meine Karriere als Community Manager bei einem Browsergame. So weit so gut.
    NUR bin ich nicht 25, wohne nicht in einem Loft in irgendeiner Großstadt, bin nicht hip und erst recht kein Hipster. Nein, ich, weiblich, verheiratet, bereits weit über 30 und mit 3 Kindern, aus einer Kleinstadt stammend, machte meine ersten zaghaften Schritte bei einer Israelischen (!) Firma in einem noch sehr neuen Markt.
    Das meinen lieben Freunden, Verwandten und Bekannten zu erzählen war ein wahrer Spießrutenlauf. Nur zu gut erinnern ich mich an so manche abschätzende Blicke wenn ich erwähnte das ich „online“ arbeite. – „Aha, online…[theatralische Pause und Blick von unten nach oben]. Und? Verdienst du auch Geld oder ist das dein Hobby?“
    Genauso gut: „Bei einer Israelischen Firma? Hast Du keine Angst vor solchen Schläfern?“
    Oder aber auch: „Du arbeitest bei einem Spiel? Spielst du den ganzen Tag?“

    Ja klar, 6 Millionen registrierte Spieler managen sich von alleine und ich zocke den ganzen Tag.
    Naja, man muss meinen Mitmenschen zu Gute halten dass 2010 vor Flappy birds, Candy Crush und allen anderen Spielen war. Es war einfach noch nicht Salonfähig.

    Der Markt wurde erwachsen und ich auch. Nach unzähligen Konferenzen, einen 9 monatigen Kurs in Business english, einer Beförderung zum Product Manager und einem (zugegebenen noch andauernden) Online Marketing Studiums, habe ich gelernt wann es einfach einfacher ist zu lügen.
    Ich bin das was ihr in mich sehen wollt. Mutter, Managerin, Marketer. Sucht euch etwas aus :)
    Auch wenn ich vor kurzem die Spielewelt verlassen habe und mich jetzt ausschließlich um das lokale Marketing kümmere, werde ich nie die Zeit des Wilden Westens vergessen.
    Und manchmal vermisse ich auch diese fragenden Gesichter :)

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